1410 km Radtour durch Schweden bei ausschliesslich pflanzlicher Rohkost
![]() The participants are crossing the Arctic Circle Du bist ja verrückt’ ‘Du bist ja verrückt’, hatte ein Kollege zu mir gesagt, als ich über mein Vorhaben sprach, 1400 km vom Norden Schwedens bis nach Stockholm mit dem Rad zu fahren. ‘Zum Radfahren muss man in ein warmes Land gehen, nicht in ein kaltes wie Schweden!’ Ich bezweifle, dass es in Italien wärmer war als hoch im Norden Schwedens, als ich am 14. Juli abends in Kiruna (nördlich des Polarkreises) ankam. Ausser unzähligen Mücken und Fliegen (‘Kiruna muss das beste sein, 50 Mio. Mücken können sich nicht irren’, stand auf den Kappen, die in Kiruna zu kaufen waren.) warteten Karin und Arne Wingquist im kleinen Flughafen auf mich. Ich war froh, dass mein Fahrrad, das mit mir im Flugzeug gereist war, in unversehrtem Zustand ankam. Katarina Lindberg (1976, Studentin aus Umea), Jeanette Ceder (1978, Studentin aus Stockholm) und Ronald Persson, (1944 , Radioingenieur aus Stockholm) waren bereits in der Jugendherberge eingetroffen. Obwohl ich vegetarische Verpflegung im Flugzeug bestellt hatte, bekam ich sie nicht. Es war das erste mal, dass ich nicht die bestellte Verpflegung bekommen habe, und es scheint, dass die LUFTHANSA, weil staatliche Gesellschaft, sich nicht gross um Vegetarier kümmert, wie mir die Flugbegleiter auf dem Rückflug sagten, als das gleiche passierte. Daher war ich wirklich froh, dass Karin und Arne mich einluden, mit ihnen Salat und Gemüse zu essen. Nach dem Nachtessen wurden alle Teilnehmer gewogen, ihr Blutdruck gemessen und die Personalien für Prof. Hebbelinck von der Uni Brüssel notiert, der die Daten später auswerten würde. Als Kurt, ein Abgeordneter der Stadtverwaltung, mich in akzentfreiem Schweizerdeutsch ansprach, war ich wirklich überrascht. Wie das? Er hatte einige Jahre lang an Zürichs berühmter Technischen Hochschule studiert. Natürlich wollten wir es nicht verpassen, die Mitternachtssonne zu erleben, die wir sehr schön von einem Hügel aus sehen konnten, auf den Arne uns führte. Dort oben habe ich realisiert, wie die Welt aussehen würde, wenn die Zugvögel auf ihrer Wanderung alle für Nahrungszwecke getötet würden wie es in einigen südlichen Ländern (vor allem Italien) gegenwärtig der Fall ist. Wussten Sie, dass eine Schwalbe 1 kg Insekten in 4-5 Wochen fängt? Das entspricht 150'000 Fliegen, Mücken oder anderen Insekten. Eine Meise fängt etwa 50’000-100'000 Insekten während einer Fütterungsperiode (4-5 Wochen), laut einer Studie der Vogelwarte Sempach, CH. Wahrscheinlich ist die kurze Sommerzeit, (von Oktober bis Ende April ist es Winter und dunkel) der Grund dafür, dass in der ganzen Gegend kein einziger Vogel zu sehen war, der die Mücken- und Fliegenschwärme hätte verkleinern können, die überall waren. Ich dachte schon, dass ich mit einem Tuch vor dem Mund fahren müsste, aber dann war am nächsten Tag die Brille für die Augen genug Schutz, als wir unterwegs waren. Der Start Es war dennoch ein gutes Gefühl, Ulla Troeng (Präsidentin des Veganer Vereins), die mit ihrer Familie die Gruppe in der ersten Woche begleitete und Karin in ihren Autos zu sehen. Wie oft habe ich jedoch an die starken Motoren unter der Haube gedacht, wenn ich auf meinem Rad schwitzend die zahlreichen Hügel hinauffuhr! Arne ist ein Frühaufsteher und fuhr morgens zeitig los (zwischen 4 und 6 Uhr) während wir übrigen es ein wenig gemütlicher nahmen. Später mussten wir dann dafür bezahlen, wenn wir unter einer brennenden Sonne fahren mussten, während Arne manchmal schon am Zielort angekommen war. Andererseits nahmen wir die Gelegenheit war, an einem der 70'000 wunderschönen Seen, an der Ostsee oder an den Ufern der grossen Ströme zu halten, um ein erfrischendes Bad zu nehmen oder ein paar Stunden zu ruhen |
Durch endlose Wälder
In der ersten Woche fuhren wir meistens auf gut gepflasterten Strassen durch endlose Nadelwälder, wo wir nur ungefähr alle 10 Minuten ein Fahrzeug trafen. Viele davon waren riesige weisse Kühllaster, die einen starken Gestank von toten Fischen hinter sich liessen. |
![]() Sigrid De Leo at one of the 70’000 lakes of Sweden. |
Langsam begann ich zu begreifen, warum in den Prospekten der Reisebüros nur für den Süden Schwedens Radtouren angeboten wurden: Ich schätze, dass wir 80% der Zeit aufwärts fuhren.
Auf unseren Radcomputern konnten wir Distanzen zwischen 73 und 129 km ablesen und eine tägliche Fahrzeit von 3.75 bis 7.50 Stunden. Von den 1410 km bin ich sicherlich 600 im Stehen gefahren, da mein Hinterteil sich nicht an den Sattel gewöhnen konnte. Das mitgeführte Gepäck betrug zwischen 15 und 25 kg.
Lebendige Nahrung - Nahrung der Zukunft Ein paar tausend Kilometer in einigen Wochen mit dem Rad zu fahren ist natürlich nichts ungewöhnliches, auf jeden Fall nicht in Deutschland und der Schweiz. Das besondere an der Tour war, dass nur Rohkost gegessen und nur Wasser getrunken wurde. Wenn man bedenkt, dass eine Frau aus den USA nicht gekommen war, weil der Arzt ihr gesagt hatte, dass es unmöglich wäre, eine so lange, anstrengende körperliche Leistung bei nur Rohkost zu erbringen, dann ist doch noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Ich bezweifle im Gegenteil, dass ich Stockholm erreicht hätte, wenn ich weniger Rohkost, dafür mehr gekochte Kost oder gar Milchprodukte gegessen hätte. Die ganze Zeit über habe ich mich sehr gut, leicht und voller Energie gefühlt. Niemand der Teilnehmer hat je über Muskelkater oder andere körperliche Probleme geklagt. Die Verdauung war ausgezeichnet. Das erstaunliche war, dass wir relativ wenig trinken mussten, wenn man bedenkt, dass wir viel schwitzten. Ich muss allerdings gestehen, dass ich 3 Wochen lang von einigen Pellkartoffeln und ein wenig gekochtem Naturreis geträumt habe. Das waren die Dinge, die ich nach der Ankunft in Stockholm essen würde, wo von der Vegan und der Vegetarier Gesellschaft in einem vegetarischen Restaurant ein kleines Festessen für Teilnehmer, Familienangehörige und Freunde organisiert werden würde. Ein Beispiel von Arnes Tagesmenü: 2 Bananen, 2 Orangen, ¼ Wassermelone, 1 Apfel, 2 Teller gemischten Salat, 1 Liter Wasser. Mein Menü für einen Tag sah z.B. so aus: 1 Apfel, 3 getrocknete Feigen, 2 Bananen, 3 Esslöffel voll frisch gequetschter Getreideflocken (in der dritten Woche hatte ich einen Widerwillen dagegen und ass sie nicht mehr), 3 Pflaumen, 5 Mandeln, 2 Teller gemischten Salat (Kopfsalat, Tomaten, Zucchini, Fenchel, Blumen-,China-, Weiss-, Rotkohl, Broccoli, Gurken, Radieschen, Sellerie, Karotten, Avocados, Eisbergsalat), 1 Liter frisches Wasser. Während jeder in den ersten Tagen sein Essen selbst zubereitete, gingen wir langsam dazu über, die Mahlzeiten gemeinsam einzukaufen und zuzubereiten, wobei Kosten und Arbeit geteilt wurden. Was für ein wunderbares Gefühl war es dann, an einem warmen Sommerabend im Garten eine grosse Portion frischer Früchte, Salate oder Gemüse zu essen, dann aufzustehen und sich leicht zu fühlen und nicht ein bisschen schwer wie nach gekochten Mahlzeiten selbst wenn sie vegetarisch oder vegan sind. Eine kurze Krise Nach einer ersten Woche mit langen aber nicht zu steilen Steigungen war die zweite Woche eine echte Herausforderung, da eine Höhe nach der anderen zu erklimmen war. Katarina und Jeanette hatten der Versuchung nicht widerstehen können aufzugeben, als wir eingeladen waren, in Katarinas Haus zu übernachten. Sie fuhren mit dem Auto nach Stockholm, um an einer Familienfeier teilzunehmen. Beide Mädchen hatten 3 kg abgenommen und hatten eine schöne glatte Haut bekommen. Meine Krise kam am 12 Tag nach 1000 gefahrenen Kilometern. Bei der Ankunft in Sundvall nach einem heissen Tag an dem wir fast nur geklettert waren, teilte ich Arne mit, dass ich am nächsten Tag den Bus nach Stockholm nehmen würde. Ich hatte genug vom Klettern! Ich hatte die Tatsache immer noch nicht ganz verdaut, dass ich einen falschen Eindruck bekommen hatte, als ich zu Hause auf die Landkarte geschaut hatte: anstelle einer flachen Landschaft, einer Strasse, die erst einem Flusslauf und dann der flachen Ostseeküste folgte, gab es unzählige Hügel zu erklettern. Arne und Karin versuchten mich davon zu überzeugen, dass von nun an eine überwiegend flache Landschaft zu erwarten wäre. Nun, nach einem wunderbaren Buffet aus rohen Salaten und Gemüsen (je mehr wir in den Süden kamen, je grösser war das Angebot), waren meine Nerven erholt und ich dachte nicht mehr an die Busfahrt. Natürlich würde ich die Tour zu Ende fahren! Einer, der sich nie beklagte, war der 78-jährige Arne (er lebt seit 8 Jahren von Rohkost). Er stand früh morgens auf, fuhr manchmal los, ohne auch nur einige Früchte gegessen zu haben, und war meistens schon angekommen, wenn wir unsere Destination erreichten. An einem Tag waren wir gerade rechtzeitig, um zu hören, wie er ein Interview über die Tour im Radio gab. Durch Pippi Langstrumpfs Land |
Nachdem Ylva in Hörnösand zur Gruppe gestossen war, hatte ich eine weitere ausgezeichnete Fremdenführerin, die mir alles über die Geschichte, Natur, Kultur, Wirtschaft, das Erziehungswesen und alle anderen Dinge erzählte, die ich über Schweden wissen wollte. Arnes Voraussage war richtig: die Landschaft war ziemlich flach, mit weiten Feldern, hellen Birkenwäldern, malerischen roten Häusern und vielen Blumen in den Gärten. Ich musste an ‘Pippi Langstrumpf’ und andere Bücher der berühmten schwedischen, vegetarischen Autorin Astrid Lindgren denken. Wie oft, wenn ich ein Kind auf einem Zaun sitzen oder spielen sah erinnerte ich mich an A. Lindgren’s wunderbare Geschichten, die ich als Kind gelesen habe. | ![]() Enjoying: sun, nature and water! |
Ich war überrascht, so wenig Tiere zu sehen. Die erste Katze sah ich nach einer Woche. Es schien mehr Pferde (zum Reiten, wie Ylva mir sagte) als Kühe auf den riesigen Weiden zu geben. Dazu einige Schafe. Das war das Vieh, das ich sah. Eine Herde Rentiere, die die Strasse nahe Kiruna überquerten, einen Elch, eine grosse Anzahl braunschwarzer Krähen und einen Hasen, mehr habe ich während der ganzen Zeit nicht an Wildtieren gesehen. Die Zahl der Vögel wurde zum Süden hin langsam grösser.
Unterkunft und Gastfreundschaft Die Jugendherbergen und Camping Plätze, die Karin und Arne zum Uebernachten ausgewählt hatten, lagen an schönen Stellen, oft an einem See, einem Fluss oder der Ostsee und waren von sehr gutem Standart. Es war ein grosses Problem für uns, dass es nachts nicht dunkel wurde. Wir haben uns viele Tricks ausgedacht, um den Raum zu verdunkeln, wie Tücher und Decken vor die Fenster zu hängen. Ich habe mich andererseits oft gefragt, wie die Leute den langen Winter aushalten können, wenn es von Oktober bis Ende April dunkel und ohne Sonne ist. Nur einmal mussten wir in einer Schule schlafen, was recht primitiv war. Da das Wetter aber schön und warm war, haben wir zum Essen draussen in der Abendsonne gesessen und unser reichhaltiges Mahl genossen. Können Sie sich vorstellen, dass eine 5köpfige Familie für eine Nacht auszog und uns ihr Haus zur völligen Verfügung überliess? Arne hatte Marianne im letzten Jahr getroffen, als er auf Probefahrt war. Als sie von der Tour gehört hatte, hat sie uns ihr Heim angeboten. Dafür haben wir sie eingeladen, unser Rohkost-Buffet zu probieren. Es hat ihnen geschmeckt, aber offensichtlich war es ihnen doch nicht genug, denn anschliessend gingen sie zur Schwiegermutter ‘um etwas zu essen’. Eine weitere Nacht verbrachten wir bei Katarinas Eltern nahe Umeo in einem kleinen Dörfchen, das nur aus wenigen Häusern bestand. Wir bereiteten ein wunderbares Buffet aus verschiedenen frischen Salaten und Gemüsen, wovon wir alle zusammen im Garten assen. Die grosse Menge an Abfall war ‘für das Schwein’, das in einem Stall grossgezogen wurde. Diese Tatsache machte mich wieder darauf aufmerksam, wie grosse Schwierigkeiten viele junge Vegetarier/Veganer haben, wenn Ihre Lieben weiterhin tote Tiere essen. Gott-sei-Dank gehört die Zukunft den Jungen! Auch Arnes Sohn Bertil und seine Tochter Gunnil hatten uns ihr Heim zur Verfügung gestellt, wie auch Arne selbst in Valentuna nahe Stockholm. Zusammentreffen mit Vegetariern In der Jugendherberge in Ornskoldsvik lernten wir eine Dänische Theatergruppe kennen als wir unsere Mahlzeit vorbereiteten. Ich vermutete, dass sie Vegetarier waren, da kein Fleisch zu sehen war. Auf meine Frage hin erfuhr ich, dass von den 8 Mitgliedern 3 Vegetarier waren. Nach dem Nachtessen sassen wir lange zusammen und sprachen über den Vegetarismus. Es schien, dass die Vegetarier recht unsicher über ihre Wahl waren, da Freunde und Verwandte sie vor gesundheitlichen Schäden gewarnt hatten. Sie waren daher sehr froh, dass sie uns trafen und stellten viele Fragen. Als sie hörten, dass Arne schon 66 Jahre lang vegetarisch gelebt hat und ich seit Geburt, da waren sie erleichtert und nicht mehr verunsichert. In Umeo sprach mich eine junge Studentin auf Schwedisch an, nachdem sie von der Tour auf meinem Hemd gelesen hatte. Sie erzählte mir, auf Englisch dann, da ich kein Schwedisch verstehe (die Schweden sprechen übrigens entweder Deutsch oder Englisch fliessend) dass unter den Studenten viele Veganer seien. Ihr Bruder war auch Vegetarier und ihre Eltern stellten ebenfalls langsam um. Es war natürlich sehr interessant die Universität von Upsala zu besuchen und die Bibliothek, die mit dem Geist der berühmten Vegetarier Carl von Linnè und Leo Tolstoi gefüllt war. Ankunft in Stockholm Monika Engström, Präsidentin der Vegetarischen Gesellschaft und Ulla Troeng, Präsidentin der Vegan Gesellschaft, hatten ein wunderbares Essen in dem bekannten vegetarischen Restaurant ‘Oestagaarden’ im Stadtzentrum organisiert. Bevor wir das (für einmal) vorbereitete Mahl geniessen konnten, mussten alle Teilnehmer der Tour Fragen einer Journalisten der grössten Presseagentur beantworten und ihre Eindrücke beschreiben. Die 6 Tourteilnehmer, Familienangehörige, und Freunde( darunter die rüstige Theresia Ek, die mit ihren 95 Jahren die älteste schwedische Vegetarierin ist) waren anwesend, als Diplome und Geschenke überreicht wurden. Alle gemeinsam dankten Arne für seine ausgezeichnete Vorbereitung und Durchführung der Tour. Nach einem grossen Teller von frischem Salat probierte ich einige gekochte Kartoffeln und Gemüse, von denen ich die ganze Zeit geträumt hatte. Das Ergebnis war, dass ich mich schwer fühlte und meine Finger leicht geschwollen waren. Welch ein Unterschied war es, als ich am Nachmittag durch das wunderschöne Zentrum von Stockholm ging: nie in den 19 Tagen vorher hatte ich mich so träge und schlapp gefühlt. Nur roh ist das beste! Da ich die einzige Teilnehmerin eines anderen Landes war, möchte ich Jeanette, Katarina, Ronald (der in den ersten 2 Wochen mein Führer war), Ylva , die ein unerschöpfliches Wissen über ihr Land hatte, dann natürlich Karin, Arne, Ulla und Monika herzlich danken!’ Taks ö mücke’, vielen Dank für die nahezu 4 wunderbaren Wochen und für die Art und Weise, wie ihr mich aufgenommen habt, in Euer Team, Euer Leben, Eure Herzen! - Sigrid De Leo |
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